Lesedauer: 5:30 min | These: Gesundheit wird zum Teil des Nachhaltigkeitskonzepts und zur obersten Priorität des politischen Handelns. Das könnte uns unsere Freiheit kosten.
Mehr als 7 Milliarden Menschen heute und etwa 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050 wollen sicher auf der Erde unter dem Naturgesetz von Life, Liberty, and the Pursuit of Happiness leben.
Das derzeitige Modell des privaten Reichtums schafft allgemeinen Reichtum hat viele schädliche Auswüchse hervorgebracht, die unsere Gesundheit, das globale Klima, die Natur und die Umwelt schwer beeinträchtigen. Sie bedrohen eine lebenswerte Zukunft. Diese Exzesse entstehen vor allem in den Wirtschaftssektoren Mobilität, Energie, Ernährung und Industrie. Das Verhalten dieser Sektoren wird durch unseren Konsum gesteuert. Unser Konsum ist daher hauptverantwortlich für die Zukunftsaussichten der Menschheit und des Planeten im Allgemeinen.
Wenn wir unsere Zukunft sichern wollen, müssen wir unser Konsumverhalten ändern. Dazu müssen wir zunächst herausfinden, was Konsum auslöst und welche Arten von Konsum welche Auswirkungen haben.
Grundsätzlich haben reiche Menschen ein viel größeres Konsumpotenzial als arme Menschen. Daher ist der Klima-Fußabdruck von reichen Menschen deutlich höher als der von weniger wohlhabenden oder armen Menschen. Außerdem ist der Konsum von Gütern mit einem hohen Klima-Fußabdruck schädlicher für die Zukunft als der Konsum von klima- und umweltfreundlichen Gütern.
Doch was löst eigentlich Konsum aus? Alltägliche Güter wie Toilettenpapier, Wasser und Brot werden konsumiert, weil wir sie zum Leben brauchen. Güter wie Skiurlaube oder Museumsbesuche werden konsumiert, weil wir sie genießen. Wir stellen fest, dass sich der Konsum in spaßinduziert und überlebensinduziert unterteilen lässt. Natürlich gibt es Überschneidungen, d. h. Konsum, der überlebensinduziert ist, aber Spaß macht und Spaßkonsum, den wir für überlebensrelevant halten.
Offensichtlich ist der spaßinduzierte Konsum weniger überlebenskritisch als der überlebensinduzierte Konsum. Dieser Logik folgend, müsste zuerst der spaßbedingte Konsum reduziert werden, also Reisen, Urlaub, Hobbys. Aber auch der Überlebenskonsum, zu dem neben der Nahrung auch die Energie zum Heizen, Bauen usw. gehört, müsste klimaschonend optimiert werden. Letzteres versuchen wir bisher schon in relativ bescheidenem Umfang, z. B. durch die Förderung erneuerbarer Energien oder die Erhöhung des Angebots an lokal produzierten Bio-Lebensmitteln.
In dieser Gemengelage wird die Menschheit von einem Virus befallen, der keinen Respekt vor Arm und Reich hat, sondern zwischen gesund und jung versus krank und alt unterscheidet – und das in lebensbedrohlicher Weise (die Gesundheit steht und fällt allerdings mit dem Einkommen). Um die Alten und Kranken zu schützen, haben wir uns weltweit dazu entschlossen, uns in Quarantäne zu begeben oder soziale Kontakte so weit wie möglich zu reduzieren. Das hat dramatische Auswirkungen auf die Wirtschaft, die in vielen Bereichen deutlich zurückgefahren wurde. Aber wir tun dies, weil wir das Gefühl haben, dass unsere Gesundheit und unser Leben wichtiger sind als die wirtschaftliche Prosperität. Die Frage ist, warum tun wir das? Erleben wir eine neue Art von Philanthropie, ein neues antikapitalistisches Lebensgefühl, das die Gesellschaft schon immer getragen hat und sich nun in der Krise manifestiert? Oder liegt es daran, dass der Virus eher wohlstandsagnostisch ist und einflussreiche Menschen gleichermaßen betroffen sind?
Wie auch immer wir die Gründe für unser Handeln bewerten, die Auswirkungen erlauben in jedem Fall einen Blick in eine mögliche Zukunft, denn zum ersten Mal in der Geschichte sind die globalen Emissionen klimaschädlicher Gase in kurzer Zeit deutlich gesunken. Damit nehmen wir sozusagen unfreiwillig die Klimaziele des Pariser Abkommens vorweg. Der Grund für diesen Rückgang ist ein drastisch reduzierter Konsum. Wir wissen inzwischen aus der Praxis, dass soziales Beisammensein Konsum auslöst oder umgekehrt soziale Distanz Konsum reduziert. Wir wissen, dass wir ohne großen Konsum von Mobilität leben können. Ebenso erleben wir, dass persönliche Anwesenheit in vielen Fällen weniger notwendig ist, als wir gemeinhin angenommen haben.
Zusammenfassend können wir feststellen, dass die Reduzierung des Konsums die effektivste Maßnahme zur Klimagasvermeidung ist, die uns zur Verfügung steht, und sie kann sofort erfolgen. Wir haben auch gelernt, dass wir jederzeit von einer Pandemie erwischt werden können. Und wir haben gelernt, dass das Coronavirus wahrscheinlich ein relativ harmloser Vertreter ist und trotzdem die Welt auf den Kopf stellt. Wie werden wir uns in Zukunft mit den Erfahrungen, die wir jetzt machen, verhalten?
Mögliche Zukunft aus liberaler Sicht.
Wir werden unser Gesundheitssystem deutlich ausbauen, ähnlich wie wir unser Militär während des Kalten Krieges ausgebaut haben. Das Geld dafür muss aber irgendwoher kommen. Niedrigere Militärausgaben sind zum Beispiel eine gute Quelle dafür.
Mobilität wird teurer werden müssen. Das wissen wir schon seit langem. Die anstehende Marktbereinigung, vor allem in der Luftfahrt und bei Kreuzfahrten, wird zum Beispiel den Massentourismus in eine nachhaltigere Form des Tourismus verwandeln. Geschäftsreisen werden weniger und mehr durch digitalen Austausch ersetzt werden.
Durch das Erleben von sozialer Distanzierung als Zwangsmaßnahme gegen die Ausbreitung des Virus wird sich das Prinzip Qualität vor Quantität auch im Zeitmanagement der Menschen nach der Viruskrise durchsetzen. Millennials fordern dies schon lange und setzen es zunehmend als Work-Life-Balance um. Die Arbeitszeiten werden weniger, aber effektiver.
Im Prozess des aktiven Klimaschutzes und den jetzt gemachten Erfahrungen wird die Konsumfreiheit als gelebter Ausdruck von Freiheit im Sinne der Grundrechte der Menschen an Bedeutung verlieren. Wir werden diskutieren müssen, wie wir das Konzept des Konsums als primären Ausdruck von Freiheit in einen sozialen, kulturellen Kontext übertragen können.
Auch die anstehende Verstaatlichung zur Rettung von Weltkonzernen und Großunternehmen vor den wirtschaftlichen Härten der Pandemie kann unter diesem Aspekt gesehen werden. Systemrelevante Unternehmen werden in die staatliche Obhut zurückgeführt. Und zwar nicht aus einer ideologischen, sondern aus einer pragmatischen Sichtweise. Das macht den Kapitalismus weltweit sozialverträglicher. Das skandinavisch-deutsch-französische Modell der sozialen Marktwirtschaft wird zunehmend relevant für eine nachhaltige Wirtschaft.
Dystopie aus populistischer Sicht
Populisten haben keine Meinungen, die sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakten speisen, sondern schauen dem Volk aufs Maul und fördern eine Politik, die das Volk vermeintlich will und den eigenen Machtinteressen dient. Wenn die meisten Menschen Angst vor einem Virus haben, wird der Populist alles tun, um den vermeintlichen Feind des Volkes zu besiegen, wenn das bisherige Abwiegeln keine Früchte trägt. Das Gesundheitssystem wird dann aufgerüstet, auch wenn es eine Woche zuvor noch als sozialistische Maßnahme verurteilt wurde, die angeblich die Freiheit des Einzelnen einschränkt. Das Gleiche könnte für den Klimawandel gelten. Wenn die Populisten merken, dass sie mit dem Krieg gegen den Klimawandel punkten und ihren Reichtum mehren können, werden sie das tun, genauso wie den Krieg, den sie gegen Flüchtlinge und Einwanderer führen.
Wenn Gesundheit zu einem ähnlichen Thema wird wie Verteidigung (gegen wen auch immer, einschließlich Flüchtlinge oder angebliche Kriminelle mit dunkler Hautfarbe), hätten Populisten kein Problem damit, den Gesundheitssektor identisch mit dem militärisch-industriellen Komplex des Kalten Krieges aufzublähen. Das wird ihn in eine kapitalistische Mega-Druckmaschine und den einflussreichsten Akteur in Politik und Gesellschaft verwandeln.
Aber wo bleibt dann der Nationalstolz als verbindendes Element zwischen Populisten und Otto Normalverbraucher? Dort, wo er heute schon ist. Ärzte werden dann das sein, was heute die Offiziere des Militärs sind, Obersten, Majore und Generäle. Sie werden der Nationalstolz und die Helden sein, die in die Welt gehen und Länder retten und dabei kolonisieren, wie wir es heute schon mit dem Militär tun. Auf dem Weg dorthin werden das Gesundheitssystem und das Militär schließlich verschmelzen.
Das Ergebnis wird ein militärisch-pharmazeutischer Komplex sein, der Wirtschaft und Gesellschaft dominiert. Aber das wird nicht alles sein, denn auch Populisten können nur in einem einigermaßen intakten Klima überleben. So kann sich das Gespenst der Ökodiktatur als fremdenfeindliches, rassistisches und autoritär-nationalistisches Regime manifestieren, in dem die Freiheit des Konsums ein Privileg der wenigen Wohlhabenden sein wird. Weil Freiheit weiterhin primär über den Konsum definiert wird, ist Freiheit dann eine Ware.
Dieses Szenario ist gar nicht so unwahrscheinlich. Populisten lernen, dass ein passendes Narrativ freie Bürger dazu bringt, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen, sich wochenlang in Quarantäne zu begeben, das Reisen und ihre Kneipe aufzugeben und allein spazieren zu gehen.
Wir alle sind bereit, einen großen Teil unserer Freiheit aufzugeben. Das Narrativ muss nur überzeugend genug sein. Deshalb werden die liberalen Kräfte der Gesellschaft mehr denn je gebraucht.