DebatteDas Klima-Urteil

Das Klima-Urteil

Lesedauer: 3:00 | Die meisten Menschen, die ich kenne, optimieren ihre Steuerpflichten, wann immer es geht. Eine Mehrheit glaubt, dass die Regierung ihre Steuern nicht kompetent verwendet. Daher ist das Senken von Steuern eine prima politische Botschaft, wenn man Stimmen gewinnen will.

Wir waren alle für Steuersenkungen. Doch damit ist es jetzt vorbei. Zum Teil, weil es gelungen ist, die wirtschaftlichen Härten im Zuge der Coronavirus-Pandemie durch die Ausgabe von Milliarden von Euros abzumildern, zum Teil, weil sich die Klimaerwärmung stark abzeichnet, und wir wissen, dass das teuer werden wird. Wir haben nur eine sehr grobe Vorstellung davon, was auf uns zukommen wird.

Das Klima mit der machtvollen Zukunftstechnologie des weißen Ritters zu reparieren, ist ein globaler Mythos, der von denselben Leuten unterstützt wird, die die Trickle-Down-Ökonomie verkaufen, um Arbeitslosigkeit und Armut zu bekämpfen: reiche, steuerhinterziehende Egoisten, die sich bereichern wollen, wann immer sie können.

Laut Paul Krugman in der NY-Times sind reduzierte Steuern für Menschen mit bereits hohem Einkommen kein Anreiz, härter zu arbeiten. Im Gegenteil, Krugman weist nach, dass das zusätzliche Geld größtenteils in Freizeit und Konsum fließen wird. Das Extrageld wird keine Investitionen in Innovationen oder zukünftige Unternehmen auslösen und damit Arbeitsplätze und Wohlstand für alle schaffen, wie es die Trickle-Down-Ökonomie suggeriert. Es wird das tun, was jedes Kind im Kindergarten weiß: Mehr Geld bedeutet im Überschuss mehr Spielzeug für den Sandkasten, was mehr Spaß bedeutet.

Aber der Spaß von heute wird nicht die Probleme von morgen lösen und schon gar nicht die größte Bedrohung, der die Menschheit je gegenüberstand: die globale Klimaerwärmung.

Es gibt überwältigende Beweise dafür, dass der Kohlenstoff-Fußabdruck einer Person in gewisser Weise mit dem Einkommen einer Person zusammenhängt. Obwohl Indiens Wirtschaft viel stärker von fossiler Energie abhängt als die deutsche, hat der durchschnittliche Deutsche einen viermal höheren Fußabdruck als der durchschnittliche Inder (8 Tonnen gegenüber 2 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr). Dabei ist das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland etwa 20-mal höher als in Indien, das bei etwa 2.000 USD liegt.

Ich schlage nicht vor, die Einkommen radikal zu senken, um die Welt zu retten. Wie das obige Beispiel zeigt, funktioniert das nicht linear. Aber wir bekommen eine Vorstellung davon, dass die Besteuerung von Einkommen einen Einfluss auf den Carbon Footprint hat. Es lohnt sich also, die Steuerpolitik in Zeiten der Klimaerwärmung völlig neu zu überdenken. Das alte Konzept der Steuererhöhungen zur Krisenbekämpfung und der anschließenden Steuersenkungen zur Förderung des Konsums und des Wirtschaftswachstums, das in der Vergangenheit auf lange Sicht vor allem den Reichen zugute kam, wird wohl nicht mehr aufgehen.

Um die Zukunft unserer Nachkommen zu sichern, müssen wir im nächsten Jahrzehnt viel mehr investieren, als wir uns wahrscheinlich vorstellen können. Und das ist keine Sache des bekannten Rhythmus von Booms und Rezessionen. Wir befinden uns in Neuland und müssen uns auf etwas viel Größeres einstellen als die Finanzkrise von 2007 oder die heutige Coronavirus-Pandemie mit ihren jeweiligen temporären Einbrüchen. Gerade die Pandemie gibt uns einen kleinen Vorgeschmack auf das, was kommen wird.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat am 24. März 2021 entschieden, dass das deutsche Klimaschutzgesetz vom 19. November 2019 zum Schutz des Klimas unzureichend ist und neu geschrieben werden muss. Kurz gesagt, argumentiert das Gericht, dass die Freiheit, heute Kohlenstoff zu verbrauchen (sie nennen es CO2-relevanter Freiheitsgebrauch), die Freiheit zukünftiger Generationen einschränkt und daher nicht verfassungskonform ist. Das Urteil ist ein großer Erfolg für die „Friday For Future“-Bewegung, den Kläger in diesem Fall und alle anderen, die sich in der Klimaschutzbewegung engagieren.

Allerdings kommt das Urteil mit einer Warnung, die ich als wirklich neu und wegweisend betrachte. Als philosophische Entität, als Grundrecht, als eine Sache von Qualität und nicht von Quantität, ist Freiheit nun eine Ware, der ein Wert zugewiesen wird, der irgendwann im Nachhinein quantifiziert werden kann. Es wird uns unzählige Milliarden kosten, uns auf die Zeit vorzubereiten, in der uns die globale Erwärmung mit voller Wucht treffen wird. Wie viel, das wissen wir noch nicht, aber irgendwann werden wir es herausfinden. Das wird dann der Wert der Freiheit sein.

Bis dahin müssen wir mit Vollgas an einem belastbaren Staat arbeiten, der die Mittel hat, im Bedarfsfall umfassend zu handeln. Wie uns die Coronavirus-Pandemie gezeigt hat, sind mutige Ausgaben notwendig, um die verheerenden Folgen einer solchen Naturkatastrophe zu bekämpfen. Nur gerechte Steuern stellen ausreichend Mittel zur Verfügung und machen uns zu einer solidarischen Gesellschaft, die widerstandsfähig genug ist, um die Zukunft zu meistern.