Reading time: 3:45min | Wie Big Data alte Ideen zu Geld macht.
Dieser Artikel ist eine Fortsetzung des Artikels Man kann sich nicht selber in die Sklaverei verkaufen. Ich schrieb:
Mit Big Data, mit Facebook, Amazon, Google und vielen anderen ist bereits ein autoritärer Staat im Staat entstanden, der mehr über uns weiß als unser Arzt, Anwalt, Geschwister, Eltern und Kinder, sogar als wir selbst. Und er verdient enorm viel Geld, mehr als jede andere Branche mit den größten Wachstumsraten, so viel wie ganze Volkswirtschaften. Wo Geld verdient wird, sammelt sich Macht an. Am Ende der Entwicklung wird sich die Frage stellen: Demokratie oder Oligarchie. In Russland und China ist diese Frage längst entschieden.
Was ist das Geschäftsmodell?
Stellen Sie sich vor, die Post würde morgen beschließen, keine Briefmarken mehr zu verkaufen. Um unsere Briefe zugestellt zu bekommen, müssten wir uns damit einverstanden erklären, dass ein Postbeamter uns ständig begleitet und unsere Bewegungen, Standorte, Vorlieben usw. auskundschaftet. Außerdem darf die Post auch wissen, was in unseren Briefen steht. Mit unserem Einverständnis kann die Post dann all dieses Wissen auf dem Markt verkaufen, aber wir wissen nicht, welches Wissen über uns sie genau und an wen sie verkaufen wird – eine absurde Vorstellung.
Genau das macht Facebook digital. Mehr noch: Es hat den Service der Post, nur Briefe zu verschicken, weiterentwickelt und bietet an, unsere Briefe auf einer großen Pinnwand öffentlich zugänglich zu machen. Das kommt bei den Kunden gut an.

Dabei erfährt Facebook eine Menge über uns. Facebook weiß, wo wir wohnen, wie wir heißen, wie alt wir sind, welches Geschlecht wir haben und 1.000 andere Dinge, die man von anderen Menschen erfahren kann, wenn man sie ausspionieren und ständigen Nachforschungen unterziehen will. Dass Facebook auch weiß, was wir auf dem Marktplatz an unsere Pinnwand posten, ist das Geringste davon. Warum macht Facebook das? Weil Facebook sonst kein Geld verdienen würde. Das liegt daran, dass der Service, also die Pinnwand und das Versenden von Briefen, von Facebook kostenlos angeboten wird. Das sollte uns stutzig machen. Denn wie kann es sein, dass ein Unternehmen, dessen Dienst kein Geld kostet, Milliardengewinne macht?
Vielleicht besteht das Geschäftsmodell von Facebook nicht in der Bereitstellung einer digitalen Pinnwand und eines digitalen Postdienstes, sondern im Sammeln von Nutzerdaten, um diese möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Das schöne Portal von Facebook ist ein hübscher Glasperlenpalast, der eine riesige und gemeine Maschine darunter verdeckt. Ein erheblicher Teil der Marketingbemühungen dient dazu, die wahren Geschäftsabsichten zu verschleiern. Vor diesem Hintergrund muss die unglaubliche Datenpanne von Cambridge Analytica als PR-Desaster und nicht als unglücklicher Ausrutscher im Geschäftsmodell gesehen werden, wie es beim VW-Dieselskandal der Fall war. Die erste Konsequenz bei Facebook aus diesem Fall ist eine Verbesserung der Verschleierung des Geschäftsmodells und eine Aufpolierung des Glasperlenpalastes. Die Folge bei VW hingegen war ein weiterer Schub des Geschäftsmodells in Richtung klimafreundliche E-Mobilität.

Das Verkleiden und Verstecken der wahren Absichten ist auch bei Google, Amazon, Instagram und anderen der wesentliche Teil der Unternehmensidee. Amazons Glasperlenpalast ist sein Einzelhandelsgeschäft und sein Video-on-Demand-Dienst, und Googles Köder ist die Suchmaschine.
Was mich zu den externen Kosten bringt. Was kostet es uns, wenn andere unsere Daten nach Belieben verkaufen und verbreiten können? Nur das verlorene Geld für unsere frei weg gegebenen Daten? Unsere Meinungsfreiheit, weil wir mit personalisierten Werbeangeboten manipuliert werden? Unsere politische Kultur, weil uns Filter in digitale Kommunikationsblasen packen? Oder unsere Demokratie, weil reiche und mächtige Konzerne einen Einfluss gewinnen, den unsere politischen Systeme nicht mehr eindämmen können?

In Deutschland rechnen wir für die Schäden durch das Klimagas CO2 mit externen Kosten von mindestens 800 Milliarden Euro bis 2050, wenn wir das Pariser Klimaabkommen rechtzeitig einhalten. Derzeit wird abgeschätzt, wie diese externen Kosten, für die die Allgemeinheit aufkommen muss, auf die Verursacher umgelegt werden können, um den Schaden so gering wie möglich zu halten, z.B. durch CO2-Steuern oder CO2-Zertifikate. Auf diese Weise stehen die Chancen gut, dass die CO2-Emissionen so weit reduziert werden, dass wir bis 2050 eine klimaneutrale Wirtschaft haben und das Pariser Klimaabkommen einhalten (und trotzdem die 800 Milliarden Euro zahlen müssen). Solche Entwicklungen haben starke Auswirkungen auf die Wirtschaft. Das derzeitige Wirtschaftsmodell der Ölkonzerne hat wenig Zukunft. Aber es werden andere Sektoren, andere Geschäftsmodelle entstehen, die nicht von der Produktion von fossilem CO2 abhängig sind. Wir sind dabei, uns weiterzuentwickeln.
Ähnlich wie Big Oil die externen Kosten von CO2 nicht in ihr Geschäftsmodell einbezog und immer noch nicht einbezieht (Benzin war und ist zu billig – und es wurden riesige Vermögen auf Kosten des Klimas und der Zukunft der Menschheit gemacht), zeigt der unheimliche Erfolg von Big Data heute ähnliche Verhältnisse: Unsere Daten sind viel zu billig (in jeder Hinsicht, nicht nur monetär), und es gibt unkalkulierbare, externe Kosten, die wir alle irgendwann bezahlen müssen. Entweder wir verteuern persönliche Daten, etwa durch eine Datensteuer, oder – mein Favorit – wir erklären persönliche Daten für unveräußerlich und entziehen sie der Wirtschaft. Ich kann zum Beispiel die Beziehung zu meinem Auto verkaufen, aber nicht die Beziehung zu meiner Tochter.

Facebook und Co. werden alles tun, um die Schließung ihrer Nutzerdaten-Goldmine zu verhindern. Und dabei zeigen sie ihr wahres Gesicht: Sie sind totalitär, undemokratisch, autoritär, menschenfeindlich. Und sie haben menschliche Gesichter: Marc Zuckerberg, Jeff Bezos, Larry Page und viele mehr. Und sie alle neigen politisch zu einer liberalen, progressiven Sicht auf die Welt. Es könnte sich lohnen zu prüfen, was liberal und progressiv bedeutet.

Also gut. Was sollten wir tun? Zunächst einmal sollten wir Facebook meiden, nicht bei Amazon einkaufen, Google gegen Escosia tauschen, unseren Instagram-Account löschen, Android loswerden, WhatsApp nicht mehr benutzen. Die beiden Tech-Giganten Microsoft und Apple (beide keine Heiligen, hallo Steuervermeidung) haben zumindest bisher der Versuchung widerstanden, sich an den Daten ihrer Kunden zu bereichern. Das sollten wir anerkennen.
Und dann liegt es an uns, und damit an der Politik. Wer eine klare Politik für die Sicherheit meiner Daten macht, bekommt meine Stimme. Damit bin ich wieder bei der guten alten Post. So wie das Brief- und Fernmeldegeheimnis in freien, demokratischen Staaten ein geschütztes, unveräußerliches Grundrecht ist, sollten wir auch das Datengeheimnis zu einem Grundrecht machen.
Shell und BP investieren übrigens schon seit geraumer Zeit erfolgreich in die Produktion erneuerbarer Energien und stellen sich auf eine klimafreundliche Wirtschaft ein. Eine ähnliche Transformation sollte auch Amazon, Facebook, Google und den anderen Datendieben gelingen, indem sie ihr Geschäftsmodell auf einen menschenfreundlichen Ansatz umstellen. Dann hat unsere Demokratie und unsere Freiheit eine Chance zu überleben.