KreativitätDimensionalität ist nicht immer eine gute Sache

Dimensionalität ist nicht immer eine gute Sache

Lesedauer: 4 min| Das andere Wort ist Plastizität. Es scheint, dass Plastizität der gottgegebene natürliche Zustand des Strebens für einen Bildhauer ist. Warum nicht auch für alle anderen? Außerdem klingt Dimensionalität so pompös und überzeugend. Sie muss hervorragend sein!

Als Kind empfand ich Reliefs in ihrem Zwischenzustand zwischen Bild und Skulptur als einen wenig überzeugenden Kompromiss, auch wenn Inhalt und Gestaltung modern und spannend waren. Beim Betrachten empfand ich Verdruss und das Gefühl eines verlorenen Butterbrotes, das ich nicht ganz aufgegessen hatte. Heute sagt mir meine liberale Ader, dass Reliefs genauso wertvoll sind wie Skulpturen und Gemälde. Aber ich fühle mich immer noch nicht besonders zu ihnen hingezogen.

Wenn ich vor einer Skulptur stand, sagte mir mein Vater immer, wie schön sie sei. Er mochte eigentlich alle Skulpturen, die ihm begegneten, irgendwie willkürlich. Als Wissenschaftler hatte seine Erklärung, warum er Skulpturen mochte, eine philosophische Seite: Man kann hinter das Bild schauen, indem man sich hinter das Objekt bewegt.

Diese Idee gefällt mir zwar immer noch sehr gut, aber heute weiß ich, dass Plastizität oder Dimensionalität an sich kein Argument dafür ist, warum ein Werk außergewöhnlich ist. Es ist nur ein weiteres Stilmittel, das in einem bestimmten Kontext funktionieren kann oder auch nicht.

Das bringt mich zur Fotografie (ob nun bewegte Bilder oder Standbilder), denn das ist mein Ausdrucksmittel.

Um die Dimensionalität in der Fotografie zu begreifen, müssen wir einige Dinge verstehen. Erstens: Wenn alles in allem gleich ist (Sensorgröße und Brennweite), haben Objektive verschiedener Hersteller und Typen ungefähr das gleiche Sichtfeld, d. h. den Winkel, auf den wir blicken, wenn wir durch die Kamera schauen. Selbstverständlich ist das Sichtfeld an einem bestimmten Standpunkt entscheidend für den Bildausschnitt. Darüber hinaus bestimmt das Sichtfeld auch, wie wir die Tiefe eines Fotos wahrnehmen. Ein weites Sichtfeld verleiht dem Bild eine gewisse Tiefe, da die Entfernungen der Objekte optisch ausgedehnt werden. Bei einem kleineren Sichtfeld ändert sich der Charakter des Bildes hin zu einem komprimierteren Ausdruck von Tiefe. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Weitwinkelobjektive eine größere Tiefe zeigen, während ein langes Teleobjektiv die Tiefe einer Szene komprimiert.

Aber warum können Objektive mit dem gleichen Sichtfeld, der gleichen Brennweite und der gleichen Blende an der gleichen Kamera einen sehr unterschiedlichen Ausdruck von Tiefe, auch bekannt als Dimensionalität oder Plastizität, liefern?

Das liegt an vielen Variablen, von denen die Schärfeabnahme die bemerkenswerteste ist. Der Schärfeabfall ist die Art und Weise, wie ein Objektiv die Schärfe in den verschiedenen Entfernungen zwischen dem scharfen Vordergrund und dem unscharfen, verschwommenen Hintergrund wiedergibt. Eine interessante Variable in diesem Spiel ist das Konzept der gekrümmten Fokusebene, der imaginären Ebene des Bildes in einer bestimmten Entfernung, die zu einer konstanten Unschärfe führt, wenn sie gerade ist. Ist die Fokusebene jedoch gekrümmt, kann die Unschärfe in der Mitte des Bildes bei einem bestimmten Objektabstand im Vergleich zu den Ecken variieren.

Natürlich tun Objektivingenieure das, was Ingenieure immer tun, und bringen die Dinge in Ordnung. Das bedeutet in diesem Fall, dass die Fokusebenen im Laufe der Zeit und mit zunehmendem Wissen immer gerader wurden, um unscharfe Ecken im Unendlich-Bereich zu vermeiden (was für die Landschaftsfotografie unerlässlich ist). Auf dem Weg der Verbesserung neigten die Objektive dazu, das zu verlieren, was wir als Persönlichkeit bezeichnen, eine Ansammlung von Problemen, die wir mögen und Charakter nennen. Aber natürlich gibt es auch moderne Objektive mit geraden Schärfeebenen, die Charakter haben, denn in der Kunst ist nicht alles schwarz und weiß, sondern kompliziert und sehr subjektiv.

Wir könnten an dieser Stelle aufhören und Schluss machen, denn sobald der Begriff „subjektiv“ auf den Tisch kommt, ist die Diskussion zu Ende. Aber zum Glück gibt es bei aller Subjektivität einen Ausdruck bei Brillengläsern, den auch das ungeschulte Auge erkennen kann: Dimensionalität, Plastizität, Tiefe oder, für die Jüngeren, 3D-Pop.

Die folgenden Bilder wurden mit zwei Objektiven aufgenommen, die in etwa die gleiche Brennweite und das gleiche Sichtfeld haben (50 mm, das unsere menschliche Wahrnehmung der Tiefe einer Umgebung wiedergibt). Beide stammen vom selben Hersteller, in diesem Fall von Leica. Das erste ist ein modernes Zoom-Objektiv, das sehr genau zeigt, was moderne Objektivtechnik zu leisten vermag. Das zweite Objektiv ist ein Prime-Objektiv (Prime-Objektive können ihr Sichtfeld nicht variieren) aus der Mitte der 70er Jahre, das damals als die Spitze der 50-mm-Prime-Objektive für Vollformat-SLRs galt.

Wie wir sehen können, zeigen die beiden Objektive einen unterschiedlichen Charakter in Bezug auf die Dimensionalität. Das Zoomobjektiv zeigt eine ausgeprägte Plastizität oder 3D-Pop, während das 70er-Jahre-Objektiv viel flachere Bilder und etwas breitere Gesichter wiedergibt.

Das Leica Zoom 24-90 bei 50 mm. Der Ausdruck ist sowohl im Hintergrund als auch im Vordergrund sehr plastisch. Das Gesicht ist etwas schmaler als üblich. Die Farbe ist neutral und der Kontrast hoch.
Das Leica 50mm SummirconR MK1. Das Objektiv bildet ziemlich flach ab. Das Motiv ist stärker vom Hintergrund getrennt, der weniger wie eine reale Umgebung wirkt. Das Gesicht wird eher komprimiert und etwas breiter wiedergegeben. Das Summicron gibt kühlere Farben und weniger Kontrast wieder.
Wiederum das Zoom bei 50 mm.
Das 70er-Jahre-Objektiv bei 50 mm.

Was soll man damit tun?

Wenn es um einen starken Ausdruck geht, gewinnt das Zoom ganz klar (es ist auch viel schärfer in der Auflösung, was in der Landschaftsfotografie wichtig ist). Wenn es aber um ein schmeichelhafteres Porträt geht, wenn die Bilder am Ende Grafiken wie z. B. Schriftzüge enthalten sollen, scheint die flachere Wiedergabe der klassischen 50-mm-Objektive besser geeignet.

Wenn schon die Wahl des Objektivs wichtig ist, wie viel wichtiger sind dann noch Motiv, Hintergrund, Licht und Farbe? Unendlich viel mehr. Würden wir den Ausdruck des Objektivs ohne einen direkten Vergleich erkennen? Wohl kaum. Spielt es also eine Rolle? Ja, das tut es. Es ist ein Teil des Puzzles. Und wenn man in den weiten Ozean der Fotografie eintaucht, wird der Charakter des Objektivs irgendwann entscheidend, denn er bestimmt die Aufnahmegewohnheiten und die Motivation, abgesehen von der besonderen Wiedergabe des Objektivs.