DebatteIhr Liberalismus ist eine leere Marke

Ihr Liberalismus ist eine leere Marke

Lesezeit: 4:00min | Zitiert aus meinem Artikel Der große Diebstahl. Sie haben menschliche Gesichter: Marc Zuckerberg, Jeff Bezos, Larry Page und viele mehr. Und sie alle neigen politisch zu einer liberalen, progressiven Weltsicht. Es könnte sich lohnen zu prüfen, was liberal und progressiv bedeutet.

Wie kommt es, dass ich als Europäer sie nicht als liberal betrachte? Das hat viel mit dem Begriff liberal zu tun und was er für mich bedeutet. Wir in Europa verstehen liberal in zwei Kontexten. Es gibt den Begriff liberal im ökonomischen Sinne, und es gibt den Begriff liberal im Sinne einer Haltung. Reden wir über liberale Haltung.

Eine liberale Haltung bedeutet für mich, ein aufgeschlossener Mensch in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu sein. Ein liberaler Mensch ist tolerant, offen für demokratische Prozesse und respektvoll gegenüber Minderheiten. Liberal bedeutet auch, dass Bildung als Schlüssel zur Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme verstanden wird und daher am besten in den öffentlichen Bereich gehört. Es bedeutet auch, dass die Regierung sich um die Menschen in bestimmten Bereichen kümmern sollte, die einen größeren Schutz benötigen, z.B. medizinische Versorgung, Renten, Verkehr und zivile Sicherheit, wie Waffenkontrolle, Schutz vor Verbrechen und die Streitkräfte. Das bedeutet nicht, dass ein riesiger Wohlfahrtsstaat oder gar ein deep state erforderlich ist – im Gegenteil. In Europa glauben liberale Menschen an die Eigenverantwortung und stehen den Marktkräften positiv gegenüber, wenn sie sozial eingefangen werden. Sie glauben an die Macht der Wissenschaften und haben eine Vorliebe für Kunst und Kultur im Allgemeinen. Liberale betrachten Religion und Sexualität als Privatsache, die selbstverständlich niemanden sonst etwas angeht.

Es gibt viele Ähnlichkeiten mit der typisch amerikanischen oder britischen Vorstellung von liberalem Denken. Aber liberal zu sein bedeutet nicht, links zu sein, wie es in den Staaten der Fall ist. In Deutschland kann man liberal und links sein und für soziale Gleichheit eintreten. Man kann liberal sein mit einer Neigung zu Konservatismus und Unternehmertum. Und man kann ein liberaler Grüner sein, der sich um Klima-, Umwelt- und Naturschutz kümmert. Oder man kann eine Mischung aus allen dreien sein.

Aber liberale Menschen würden nie denken, dass sie anderen überlegen sind (es sei denn, sie leiden an einer Persönlichkeitsstörung). Im Diskurs mit Konservativen werden Liberale jedoch oft als intolerant denunziert. Das steht im Widerspruch zu dem, was Liberalismus bedeutet. Der Konflikt und die Vorstellung, dass Liberale intolerant sind, entsteht, wenn Konservative in Konflikt mit den Don’ts des Liberalismus kommen, die Rassismus, Sexismus, Intoleranz im Allgemeinen sind. Für Liberale ist Toleranz gegenüber anderen ein Kernwert, wenn nicht sogar der wichtigste menschliche Wert. Nicht so für rechte Konservative und auch nicht für die extreme Linke. Konservative sprechen gerne von Werten, wenn sie mit ihren intoleranten Ansichten sinnvolle Entwicklungen verhindern und den Widerspruch der Liberalen hervorrufen.

Was mich zum Fortschritt bringt. Es gibt drei verschiedene Positionen zum Fortschritt in der Gesellschaft.

  1. Das Jetzt ist gut für mich. Entwicklungen, die meinen Status quo gefährden könnten, müssen vermieden werden; Fortschritt ist also schlecht.
  2. Dss Jetzt ist nur gut für einige wenige. Der Fortschritt hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft muss erkämpft werden.
  3. Fortschritt ist Teil der Naturkräfte und damit unvermeidlich, sollte aber in eine sinnvolle Richtung gelenkt werden.

Diese drei Haltungen gegenüber dem Fortschritt definieren die politische Position, die man in der Gesellschaft einnimmt. Das erste Beispiel beschreibt einen klassischen Rechtskonservativen, der Fortschritt als schlecht ansieht – so wie die fortschreitende Klimaerwärmung, die nicht menschengemacht sein kann, ja trotz wissenschaftlicher Beweise nicht existieren kann. Da Fortschritt immer als etwas Schlechtes gesehen wird, setzen sich widerwärtige Haltungen wie Rassismus oder Sexismus durch – zum Vorteil der herrschenden Klasse. Das Gleiche gilt für Homosexualität und viele andere Themen, die Minderheiten betreffen und für deren Lösung Fortschritt notwendig ist.

Das zweite Beispiel ist die Haltung der Linken. Die Linke sieht die heutige Gesellschaft als überfällig an (das macht sie schon immer so, seit Jahrhunderten), und gesellschaftliche Veränderungen müssen in Richtung einer guten Zukunft realisiert werden. Für die radikale Linke ist diese Zukunft ein kommunistischer Staat, der von Natur aus autoritär und totalitär ist. Wenn sich die extreme Linke und die extreme Rechte zusammenschließen, bekommen wir den Nationalsozialismus, kurz gesagt, die Nazis.

Das dritte Beispiel ist eine pragmatische Sicht der Dinge und ist weder politisch rechts noch links. Liberale sehen die Dinge per Definition nicht durch den Spiegel ihres Vorteils oder einer Ideologie, sondern mit Pragmatismus für das größere Wohl. Das wiederum macht sie verdächtig gegenüber Konservativen, die per Definition wollen, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind – zu ihrem Vorteil.

Und das ist der Grund, warum die oben genannten Milliardäre keine Liberalen sind. Ihr Vorteil bestimmt ihre Sicht der Dinge. So verschleiern all ihre Unterstützungen typisch liberaler Themen wie Gleichberechtigung der Geschlechter und Antirassisums ihre wahren Absichten: so viel Reichtum und Macht wie möglich. Und da sie das alles bereits haben, muss alles so bleiben, wie es ist. Das ist es, wofür sie kämpfen.

Die führenden Köpfe der Tech-Industrie waren damals, in den frühen 2000er Jahren, für den Fortschritt, nannten sich aus vollem Herzen progressiv und wurden als Helden des Liberalismus gefeiert. Aber das ist heute ein Märchen aus der Vergangenheit. Die Wahrheit ist, dass das Mantra des Liberalismus von der Gleichheit als Prinzip zweifellos nicht ihre Handlungsmotivation ist, nie war. Anspruch und Überlegenheit, ja sogar Vorherrschaft ist ihr inneres Selbst. Und das ist der Grund, warum Mark Zuckerberg in Trumps Amerika so gut gefahren ist, wie all die anderen seiner Sorte auch.

Bleibt die Frage: Warum dann die Unterstützung liberaler Grundwerte wie Gleichberechtigung der Geschlechter und Rassen? Die Antwort ist so einfach, wie sie nur sein kann: Ein großer Teil ihrer Klientel sind liberale Stadtbewohner. Ihr Liberalismus ist nur eine inhaltsleere Marke. Wie billig.