Lesedauer: 2:15 min | Die Notwendigkeit eines umfassenden Klimaschutzes ist bei allen Volksparteien in Europa weitgehend angekommen und gehört zu ihrer Erzählung. Nur Parteien am rechten Rand zweifeln noch am Klimanotstand. Man könnte meinen, dass die Fragen, die sich aus dem Klimanotstand ergeben, die typische Agenda der Wohlhabenden und Wirtschaftsliberalen zumindest für eine Weile ausbremsen werden. Das wäre eine gefährliche Unterschätzung.
Warum sollten die Wohlhabenden und ihre Helfer (all die alten und jungen Menschen, die an Karriere und Konsum glauben) ihre Pfründe und ihre Religion aufgeben wollen, nur weil Überschwemmungen und Dürre drohen?
Wirtschaftsliberale Kreise werden den Klimaschutz als Chance begreifen, den ungeliebten Sozialstaat zu untergraben, wenn nicht gar abzuschaffen. Die These, dass der Klimanotstand nur überwunden werden kann, wenn Geld aus dem Sozialbudget für den Klimaschutz genommen wird, steht offensichtlich im Raum. Dagegen muss man sich frühzeitig wehren, wenn einem an sozialer Gerechtigkeit und einer vielfältigen Gesellschaft gelegen ist. Klimaschutz und soziale Sicherheit haben nichts miteinander zu tun, auch wenn wirtschaftsliberale Kreise diesen Eindruck erwecken wollen, indem sie sagen, wir müssten den Gürtel enger schnallen.
Die über 600 Milliarden Euro des jährlichen Sozialbudgets des Bundes sind das, was sie sind: ein Sozialbudget und kein Klimaschutzbudget. Genauso wie die ca. 140 Mrd. Euro des jährlichen deutschen Bildungsetats ein Bildungsetat sind (kein vernünftiger Mensch würde Schulen schließen, um den Klimanotstand zu bekämpfen). Ebenso können die ca. 45 Milliarden Euro, die in die Bundeswehr fließen, nicht für den Kampf gegen den Klimanotstand abgezweigt werden (obwohl beides Verteidigung ist). Außerdem gibt es viele zig Milliarden Euro an staatlichen Geldern für Verkehr, Wirtschaft, Renten, etc….. und schließlich für Kultur. Warum stellen wir nicht den Klimaschutz gegen die Kultur? Lassen wir doch die Kultur ganz weg.
Aber oft ist es sinnvoll, unnötige Bürokratie und unproduktive Kosten abzubauen. Die Beseitigung von Auswüchsen und die Verschlankung von Strukturen sollte ein täglicher Prozess in der Politik sein. Gesellschaftliche Bereiche, die nicht ursächlich für den Klimanotstand sind, wie der Sozialstaat, die Bildung oder die Kultur, sollten jedoch nicht haushaltsmäßig belastet werden, nur weil wir uns in einem Klimanotstand befinden. Auch das Gesundheitswesen oder die Polizei und andere Sicherheitsbehörden sind nicht ursächlich für den Klimawandel verantwortlich und sollten daher keine massiven Einschnitte in ihrem Budget hinnehmen müssen.
Aber andere Themen, wie die dringend notwendige Agrar- und Ernährungsreform oder der Verkehr, stehen in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Klimaschutz. Das Gleiche gilt für den Energiesektor. Hier müssen wir ansetzen. Aber die Wirtschaftsliberalen sträuben sich gegen Reformen in diesen Sektoren, weil das die Einnahmeseite ist, die so lange wie möglich für ihre Dividenden sorgen soll.
Dennoch ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, wie die Ausgabenseite optimiert werden kann. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die vielen Milliarden, die als Subventionen in Europas Landwirtschaft fließen, auch den Klimaschutz gezielt unterstützen. Bislang tun sie das Gegenteil.
Das Geld, das für Investitionen in den Klimaschutz benötigt wird, muss natürlich irgendwoher kommen. Zum Beispiel durch eine Reform der Einkommens-, Kapital- und Vermögenssteuer, denn der CO2-Fußabdruck von Vermögenden ist im Durchschnitt um ein Vielfaches höher als der von Normalverdienern. Diese Gruppe sollte aus der Perspektive von Klima- und sozialer Gerechtigkeit besonders ins Visier genommen werden, denn Reichtum und Klimaschutz sind kausal miteinander verknüpft; Geldverprassen wirkt sich auf das Klima aus. Oder einfach ausgedrückt: Die starken Schultern müssen in Zeiten der Not mehr tragen. Leider sehen das Wirtschaftsliberale anders (ich vermute ein Charakterdefizit) und wollen den Kuchen nicht nur haben, sondern auch essen.
Eine Sozialstaatsdebatte im Kontext des Klimaschutzes ist eine hervorragende Nebelkerze. Bitte fallen Sie nicht darauf herein.