DebatteKreativität in Fesseln

Kreativität in Fesseln

Lesezeit: 2:00min | Nur Ungehorsam rettet die Kreativität.

Pinterest ist eine Suchmaschine für Bilder. Die Idee ist einfach: Pinterest hilft, Bilder aus verschiedenen Bereichen zu finden, um Ideen zu illustrieren. Die Bilder bzw. Ideen können dann an einer digitalen Pinnwand auf der Website von Pinterest angeheftet werden, die mit anderen Pinterest-Nutzern geteilt werden kann: Pin und Interesse ergeben zusammen Pinterest.

Für meine Arbeit brauche ich oft Bilder, die meine Ideen illustrieren. In Verbindung mit kurzen Texten entstehen so genannte Moodboards, die schnell und klar kommunizieren. Pinterest ist dafür eine ausgezeichnete Ressource.

Es wäre über Pinterest alles gesagt, wenn Pinterest nicht immer wieder versagen würde. Ich suche zum Beispiel Bilder zum Thema Mutter und Kind in der Küche. Weil die Küche aus irgendeinem Grund im sogenannten Landhausstil sein soll, schreibe ich in die Suchmaske: Mutter, Kind, Küche, Landhausstil. Ich erhalte hunderte von Vorschlägen, von denen 95% Einrichtungsvorschläge sind. Das hängt mit dem Begriff Landhausstil zusammen. Pinterest hat von seinen Nutzern gelernt, dass Landhausküchen gesuchter sind als Mütter und Kinder. Um ein brauchbares Ergebnis zu erhalten, muss ich den Algorithmus täuschen. Ich schreibe (in Englsich): Kitchen, mother, photography. Jetzt finde ich viele Bilder, die eine Mutter mit Kindern in einer Küche zeigen, und mit ein bisschen Glück passt die Küche zu dem Landhausstil, den ich suche.

Picture: Hans von Sonntag

Diesen Umweg zu nehmen, wäre zunächst kein großes Problem, wenn Pinterest nach einiger Zeit kein Profil über mich und mein Suchverhalten erstellen würde. Dieses Profil wird von Anfang an viele Vorschläge aussortieren. Weil ich zum Beispiel nie nach Bauhausküchen gefragt habe, sondern mich früher einmal für Gartenideen interessiert hatte, hält mich Pinterest für ein eisernen Landhausfan. Das hat Auswirkungen auf alle anderen Themen, nach denen ich vielleicht suchen werde. Am Ende, und das dauert nicht lange, beginne ich von mir selbst zu denken, dass nur der Landhausstil mein wahres Ich am besten widerspiegelt.

Der Wunsch, mir zu gefallen, ist das Geschäftsmodell von Pinterest. Die logische Konsequenz ist, dass Vielfalt und Kreativität auf der Strecke bleiben. Am Ende landen wir alle in selbstgemachten Nischen, die auf unheimliche Weise mit den Nischen der anderer Nutzer zusammenfallen. Es entstehen Kategorien, aus denen es kein Entrinnen gibt. Einmal Landhaus, immer Landhaus.

Diese Kongruenz schafft eine Realität, die ohne die Daten von uns Benutzern und die anschließende Einspeisung der Daten in den Algorithmus nicht existieren würde. Die Realität unserer kreativen Orbits wird also nicht von Menschen, sondern von Maschinen geschaffen. Heute wird unsere Kreativität von Big Brothers gesteuert, die uns im Geiste George Orwells deutlich machen, dass Küchen im Landhausstil sein müssen, so wie Krieg Frieden ist.

We’re be watched more than ever. Mostly not for safety. Photography: Tomy2, Getty Images

Was ist zu tun? Zunächst einmal hilft der zivile Ungehorsam. Ich habe mir angewöhnt, Pinterest regelmäßig mit schrägen Recherchen zu stören. Das bringt eine gewisse Vielfalt zurück, aber was für ein absurder Workaround.