Lesezeit: 2:30min | Von Goethes Tapete bis zu den U-Bahnstationen der 70er Jahre – Lindgrün.
Lindengrün ist eine traditionelle deutsche Farbe, die aus der Mode gekommen ist, aber immer noch ein Leben als Mauerblümchen in Baumärkten führt. Lindengrün ist auf den ersten Blick eher langweilig, ein etwas entsättigtes, pastellfarbenes Grün, das eine auffällige Tendenz zu einem warmen Gelb hat und daher freundliche Wärme von unbedeutender Kraft ausstrahlt. Warum spielt die Linde in pflanzlichen Farbnamen eine herausragende Rolle und die Eiche zum Beispiel nicht?

In diesem Zusammenhang ist die kulturelle Rolle der Linde interessant. Im Gegensatz zur Eiche als nationales Wahrzeichen Deutschlands und der Buche als Laubbaum par excellence hat die Linde keine nennenswerte wirtschaftliche Bedeutung. Ihr Holz ist weder ein besonders gutes Brennholz, noch eignet sie sich für Möbel, Böden oder Baukonstruktionen. Die Linde wäre überflüssig, wenn es nicht die Bienen gäbe. Mit ihren Millionen von Blüten, die grüngelb blühen und daher als Blüten kaum wahrnehmbar sind, ist sie eine ausgezeichnete Bienenweide. Der Lindenblütenhonig ist ein berühmter Honigklassiker. Diese Eigenschaft und sein romantisches Aussehen mit seinen hängenden Ästen und Zweigen haben ihn zum Parkbaum Nummer eins gemacht. Von dort aus war der Weg der Linde nicht weit, um zu einem Farbnamen zu werden, zumal ihr Grün bei sommerlicher Blüte auffallend warm wirkt.

Die völlige Abwesenheit von Aufregung, die deutlich beruhigende Wirkung des Lindgrüns machte es zu DER psychologischen Farbe der 70er Jahre, als es in Mode kam, U-Bahnen und anderen öffentlichen Räumen durch Farbgestaltung eine beruhigende Wirkung auf die Menschen zu verleihen. Mit Beige und stark gedecktem Orange prägte das Lindgrün eine ganze Epoche.

Heute steht die Linde auf berüchtigte Weise wieder im Rampenlicht, denn in Zeiten des Insektensterbens inszenieren Hunderte von toten Hummeln sie im Sommer unter den Linden als Insektenvernichter. Im Juli, wenn die Linden in voller Blüte stehen, sind sie die letzte Nahrungsbastion der Hummeln, denn die anderen Pflanzen der Städte können die Bienenvölker kaum noch ernähren. Am Ende sind die Hummeln, die im Gegensatz zu den Bienen keine Zuckerreserven aufbauen können, zu schwach und verhungern unter ihrer letzten Nahrungsbastion, den Linden.
Es ist unwahrscheinlich, dass diese Geschichte die Farbe Lindgrün wieder in den Fokus rückt, wo sie zu Goethes Zeiten stand, als grüne Tapeten in Mode waren. Goethe schrieb in seinem Buch Theorie der Farben im Jahre 1810: Unser Auge findet darin wahre Befriedigung. Wenn beide Mutterfarben in der Mischung so ausbalanciert sind, dass keine von beiden vor der anderen auffällt, ruht das Auge und der Verstand auf dieser Mischung wie auf einer einfachen. Weiter will man nicht gehen, und weiter kann man nicht gehen. Deshalb wird die grüne Farbe der Tapete in der Regel für Räume gewählt, in denen man sich ständig aufhält.

Wenn Lindgrün wieder groß wird, würde es mit dem ausgefalleneren Namen Limonengrün zurückkommen und damit den Schwerpunkt von der Linde auf die exotischeren Zitrusfrüchte verlagern. Das Grün der Limone ist ebenfalls warm, aber viel gesättigter und erzählt eine ganz andere Meta-Geschichte von Cocktails und Party.