KreativitätFarbenRosen spiegeln das Leben

Rosen spiegeln das Leben

Lesedauer: 4:30 | Rosen zeigen ausgeprägte Persönlichkeiten. Aber wie bei uns Menschen ist nicht jede Rose ein netter Kerl oder ein Champion, den alle lieben. Es ist kompliziert.

Im Jahr 2016 habe ich einen kleinen Stadtgarten geerbt. Meine Mutter baute ihren Garten auf Vielfalt und Zuneigung für die kleinen grünen Persönlichkeiten auf, die sanfte Pflege brauchten, um ihr wahres Ich zu zeigen und zu strahlen. Rosen waren immer ein Teil dieser Idee, aber sie hat sie nie als die Königin der Blumen betrachtet. Ich versuche, diese Tradition am Leben zu erhalten. Da der Juni der Monat ist, in dem Rosen zeigen, was sie drauf haben, denke ich, dass es ein hervorragender Zeitpunkt ist, sie vorzustellen.

Azubis, Kletterrose, Züchter van de Laak 1981, Fotografie: Hans von Sonntag

Dies ist Azubis. Azubis gehört zu den relativ seltenen so genannten near-blue Rosen und ist eine Kletterrose. Sie wurde in den achtziger Jahren in den Niederlanden auf den Markt gebracht und man erkennt den Zeitgeist ihres Jahrgangs: Schulterpolster, Sinn für Angeberei, nur der Himmel ist die Grenze. Ich habe Azubis vor vier Jahren gepflanzt. Nach einigen Zahnungsproblemen und besonders pingelig zu sein, hat sie sich zusammengerissen und blüht dieses Jahr zum ersten Mal. Mit Wasser, Kompost, Sonne und ein bisschen Sprechen wird sie gut gedeihen. Nächstes Jahr, wenn die jungen Triebe verholzt sind, wird sie aus dem Gröbsten raus sein.

Westerland, ADR-Strauchrose aus den 70er Jahren, Züchter Kordes, Fotografie: Hans von Sonntag

Und hier kommt Westerland. Sie ist die robusteste Kletterrose unter meinen Rosen. Andere sagen, Westerland sei eine Strauchrose, so wird sie auch vermarktet. Ich finde, sie passt genau dazwischen. Ihr Holz ist sehr robust, das Laub auch. Die Blüten repräsentieren die frühen 70er Jahre, als die rote Rose nicht mehr die Rose der Rosen war, und die Blütenformen der Rosen in Form und Farbe neu gedacht werden konnten, was nicht unbedingt in Bescheidenheit endete. Sie soll außerordentlich witterungsbeständig sein, was der Name Westerland als Hauptstadt der Nordseeinsel Sylt nahelegt. Ihre schreiend lauten, chaotischen und massiven pfirsichfarbenen Blüten veralten nach ein bis zwei Wochen und verlieren ihren starken Duft in ein braunes Nichts. Ausgleichende Gerechtigkeit.

Grüße nach Heidelberg, Ramblerrose, Fotografie: Hans von Sonntag

Und diese Rose geht noch weiter in die Vergangenheit zurück. Sie heißt „Gruß an Heidelberg“. In den frühen sechziger Jahren, als die Rosenzucht in Deutschland nach dem Krieg wieder boomte, galten typisch deutsche Tugenden wie Ausdauer und Zuverlässigkeit als wichtiger als künstlerischer Ausdruck. Deshalb zeigen die Blüten von Gruß an Heidelberg die Formensprache der klassischen roten Teehybridrose. Als Rambler wächst sie gerne an einem Rosentor mit langen Trieben. In meinem Garten lebt sie bescheiden im Schatten des Feuerdorns, der von einem alten Stock gehalten wird.

Unbekannte weiß-blühende Kletterrose, Fotografie: Hans von Sonntag

Diese zarte weiße Schönheit ist meine Lieblingsrose. Als ich den Garten übernommen habe, war sie scheintot, begraben unter den Sträuchern. Aber mit viel Glück habe ich es geschafft, sie zurückzubringen. Leider weiß ich nicht, wie sie heißt und woher sie kommt. Sie hat eine edle Erscheinung in Weiß, mit einem leichten Hang zur Romantik, ohne aufdringlich zu sein, ein reines Understatement, was bei Rosen selten der Fall ist. Sie klettert über 4-5 Meter hoch auf zartem, dünnem Holz. Ihre Blüten sind klassisch, ähnlich denen von ‚Gruß an Heidelberg‘, aber kleiner und zarter. Würde ich ein besonders romantisches Dornröschen inszenieren, wäre sie meine erste Wahl. Ihr Standort an der Dachrinne ist fast ideal, abgesehen vom Halbschatten durch die Lindenbäume.

Sympathie, ADR-Kletterrose aus den 60er Jahren, Züchter Kordes, Fotos: Hans von Sonntag

Zwischendurch ein kurzer Schwenk in den Garten meiner lieben Nachbarin. Wie Westerland und Gruß an Heidelberg eine weitere Kordes-Rose, wächst Sympathie majestätisch. Sie wächst mit seltener Wuchskraft über sechs Meter hoch und beweist wieder einmal, dass die Dachrinne der beste Standort für eine Kletterrose ist. Ihre Blüten zeigen ein etwas vulgäres Rot mit leichtem Pinkton. Aber ihr Rot langweilt den Betrachter nicht, denn irgendwie wirkt ihr Aussehen nicht ganz richtig. Stattdessen würde man ein dunkles, aristokratisches Rot für eine solche königinnenhafte Erscheinung erwarten. Okay. Kompliziert. Sympathie wurde in den 60er Jahren herausgebracht und war einst weltberühmt. Ihre leichte Alltäglichkeit als allgegenwärtige Parkrose jener Zeit ist heute ihre Stärke. Sie muss 30+ Jahre alt sein.

Lemon Fizz, ADR-Award von 2015, Miniatur-/Beetrose, Züchter Kordes, Fotografie: Hans von Sonntag

Diese hier ist Lemon Fizz. In der Rosenszene haben die Züchter keine Angst vor Farben und Formen, ebenso wenig wie vor Namen. Ich züchte Lemon Fizz in einem Topf. Das ist möglich, weil sie eine kurze Strauchrose ist und ihr Wurzelsystem nicht sehr tief geht. Lemon Fizz ist eine Rose von heute und wurde von mir vor drei Jahren wurzelnackt gepflanzt. Laut Katalog hat sie einen ADR-Preis gewonnen, was bedeutet, dass sie schnell wächst, Pilzen und anderen Bedrohungen gut widersteht und gut aussieht (was auch immer das bedeutet). Was sie so zeitgemäß macht, ist ihr altmodisches Aussehen mit offenen Blüten, was heute wieder aktuell ist, denn Bienen können Lemon Fizz‘ Blüten leicht besuchen. Im Gegensatz zu echten Vintage-Rosen blüht Lemon Fizz jedoch mehrmals im Jahr. Ihr Gelb ist knallig, aber nicht ganz gewöhnlich, denn sie hat eine leichte Tendenz zu einem kühlen Primelgelb. Lemon Fizz ist ideal zum Pflanzen und Vergessen.

Veilchenblau, Vintage Rambler Rose auf Comeback-Tour, Fotografie: Hans von Sonntag

Hier kommt Veilchenblau (violett-blau). Sie ist vielleicht die bekannteste deutsche Ramblerrose. Sie stammt aus dem Jahr 1909 und ist eine wunderschöne Ramblerrose mit kleinen Blüten auf großen Dolden. Leider hat sie die ersten Jahre an einem ungünstigen Standort gelebt, und ich musste sie an einen sonnigeren Platz verpflanzen. Jetzt wächst sie wie verrückt, vielleicht sogar hoch hinauf in meinen alten Pflaumenbaum. Das wäre ihre vornehmste Aufgabe.

Goden Gate, ADR-Kletterrose von 2006, Züchter Kordes, Fotos: Hans von Sonntag

Eine weitere Kletterrose, die ich auf Lager habe, ist Golden Gate. Ihr Gelb ist etwas kühler als das von Lemon Fizz und lässt geschmacklich keine Fragen offen, da ihre gelben Blütenblätter nicht in ein plattes Postgelb übergehen. Ihre Blüte kann am besten als klassisch beschrieben werden, mit einem zarten Duft nach Banane und Minze. Sie wächst unglaublich schnell nach oben und zur Seite, wenn man will und ist ein Kumpel, auf den man sich verlassen kann.

Unbekannte Strauchrose „Fairy“, Fotografie: Hans von Sonntag

Schließlich eine besondere Freundin, die ich hege und pflege, weil sie so un-rosig ist. Ihre Blüten sind von Anfang an verwelkt, schon als Knospe. Keine Ahnung, wie sie heißt, und keine Ahnung, welche Art von Rose sie darstellt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie kommerziell erfolgreich war. Eine Freundin sagt, sie sieht aus wie eine alte Fee, und ich stimme ihr gerne zu. Sie ist eine kleine Persönlichkeit, ohne die der Garten viel ärmer wäre.