WertschätzungSchwarz-Rot-Gold

Schwarz-Rot-Gold

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Lesezeit: 2:00min | Mein Ringen mit der Deutschlandfahne.

Im Sommer 1997 fuhr ich nach Gdańsk und kaufte ein altes Holzsegelboot. Es war eine polnische IOR-Konstruktion, ein 1-Tonner aus den frühen 70er Jahren, ein altes Regattaboot, das die Wende überstanden hatte. Ihr Name ist Danziger. Sie genießt noch immer den Winde in guten Händen.

Auf der Kreuz. Danziger ist eine polnische 70er-Jahre IOR 1-Ton Design der Taurus Klasse. Foto: NRW-Cup

Als wir sie mit meinen Brüdern, Freunden und der Hilfe des Vorbesitzers nach Deutschland überführt hatten und in Kiel ankamen, brauchten wir eine deutsche Flagge. Ich ging in den Seglerladen in Laboe und fasste die deutschen Flaggen an, die reichlich in verschiedenen Größen zu kaufen waren. Natürlich waren sie schwarz-rot-gold und strahlten etwas aus, das ich am besten mit einem Besuch in der Pornoabteilung einer Videothek beschreiben kann. Man schaut sie sich interessiert an, leiht sich dann aber lieber einen Arnold-Schwarzenegger-Film aus der Actionfilm-Abteilung um die Ecke aus. Leider gab es keinen Arnold-Film. Ok. Dann, für das volle Erlebnis, bitte wenigstens in der größten Größe.

Deutsche Flagge in einer Böe. Foto: Macky_ck, Getty Images

Schwarz-Rot-Gold am Heck bedeutete für mich einen großen Sprung in die Fremde, der mir als liberal erzogenem jungen Deutschen damals einige Schwellenangst bereitete. Mit der Zeit, als ich die massiven Dannebrogs an dänischen Schiffshecks und die Flaggen der Holländer auf dem Wasser erlebt hatte, begann ich mich langsam an Schwarz-Rot-Gold zu gewöhnen.

Niederländische Flagge. Foto: Ramon Berk, Getty Images
Dannebrog ist der Name der dänischen Flagge. Foto: Acilo, Getty Images

Aber ich habe mich immer noch nicht an die Farbkombination gewöhnt. Sie ist unglaublich traurig. Und das liegt auch am Gold. Es ist der Hoffnungsschimmer zwischen der Leere des Schwarz und der Gefahr des Rot. Ohne Hoffnung gibt es keine Traurigkeit. Denn was würde passieren, wenn es keine Hoffnung gäbe? Würde die Traurigkeit dann nicht in Verzweiflung umschlagen? Die deutsche Flagge strahlt keine Verzweiflung aus. Aber sie hat nicht den Optimismus der niederländischen und französischen Flagge, die Freude der italienischen Flagge – bei weitem nicht.

Französische Farben auf einer Ziegelwand. Foto: Bodrum Surf, Getty Images
Pasta spaghetti Bolognese. Photography: Tookapic, Pexels
Junge Frau mit Deutschlandfahne im historischen Berlin. Foto: Ross Helen, Getty Images

Mit dieser emotionalen Last durch die Gegend zu fahren, ist keine große Freude. Dann kam 2006, das berühmte Sommermärchen, als Deutschland die Fußballweltmeisterschaft ausrichtete, Zweiter wurde und seinen Patriotismus (auf herzerwärmende, inklusive Weise) wiederentdeckte – nach 60 Jahren. Schwarz-Rot-Gold war vom Rand des Segelsports und der Bundeswehr in den Mainstream der deutschen Haushalte gerückt. Ein guter Grund, mit der Flagge am Heck Frieden zu schließen.

Deutsche Fans. Foto: Sean Shot, Getty Images

Wenn es die Finanzkrise nicht gegeben hätte. Sie trieb Antieuropäer und Euro-Feinde in Scharen in die deutschen Fernsehstudios und machte die rechtsextreme AfD möglich. Wieder einmal brauchte Europa dringend Freunde. Und weil ich ein eingefleischter Europafan bin, habe ich Schwarz-Rot-Gold gegen Blau-Sterne am Heck meines Segelbootes getauscht. Übrigens: Wer die Europaflagge am Heck trägt, muss mit einem Bußgeld rechnen, wenn er von der deutschen Wasserschutzpolizei erwischt wird. Europa kommt nicht weiter, wenn unsere gemeinsame Flagge illegal ist.

Europäische Sterne auf EU-Landkarte. Bild: Dynamics Graphics, Foto Bilder

Heute werde ich weiterhin die europäische Flagge hissen, denn Europa ist noch lange nicht über den Berg. Wenn wir endlich wieder einen großen Sprung nach vorne gemacht haben, wie bei der Entscheidung für den EURO, kann Schwarz-Rot-Gold wieder mein Boot besuchen und ist sehr willkommen. Ich habe gelernt, dass das Gold der deutschen Flagge ein fröhliches Gelb ist, offiziell registriert als RAL-1028, Melonengelb. Beruhigend. Und irgendwie vorhersehbar. Die Dinge sind nie so schlimm, wie sie scheinen, oder wie wir Deutschen sagen „selten wird etwas so heiß gegessen, wie es gekocht wird“.