Lesezeit: 2:45 min. | Vor einem halben Jahr schickte mir eine liebe Freundin über das Thema soziale Medien eine Mail, die ich jetzt hier beantworte.
Am 6. März 2021, schrieb sie mir: Zu Deinem Social-Media Artikel von vor einigen Monaten, indem Du den Vergleich mit dem Post-Office verwendest (in einem Artikel verglich ich Facebook mit der Post), wollte ich immer noch mal mit Dir quatschen. Vor allem denke ich hattest Du einen Punkt vergessen: Dieses Post-Office ist keine normale Post, sondern eine, die den Briefeschreibern die Adressen zu allen möglichen Menschen auf der ganzen Welt herausfindet, ihnen erlaubt, sich zu vernetzen, in Kontakt zu treten, mit längst vergessenen Kindheitsbekanntschaften oder auch mit interessanten, ungewöhnlichen, künstlerischen Menschen, die auf einer ganz ähnlichen Wellenlänge schwingen wie man selbst, obwohl sie in Melbourne wohnen oder in Guadalajara. Facebook &Co. ist schon eine geniale Sache mit nachvollziehbarer Verführungskraft. Sonst wäre sie nicht so erfolgreich. Jedes Mal wenn ich dachte, ich lösche den Account, ich steige aus, hab ich nochmal geschaut, und gefunden dass der Mehrwert für mich doch die Nachteile überwiegt. Dass ausgerechnet ich hier eine Lanze für die Social Media breche, ist natürlich ein Ding. Aber die Dinge sind halt nicht schwarz-weiß zu sehen … sondern eher gestreift.
Damals dachte ich, sie hätte Recht. Vielleicht übersehe ich als Social-Media-Legastheniker wichtige Dinge. Wie sie sagt, die Dinge sind nicht Schwarz und Weiß, sondern eher gestreift, was mich absolut überzeugt hat. Aber letzte Woche wurden die Streifen ziemlich schwarz, als die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen den US-Senat betrat. Was mich zum letzten Samstag bringt, als ich nach Leipzig fuhr, um die Familie meines Bruders zu besuchen.
Auf dieser Reise habe ich mir den Podcast #82 von Doppelgänger (Philipp Glöckner vs. Philipp Klöckner) angehört. Dieser Podcast ist Deutschlands führende zweimal wöchentlich erscheinende Podcast über Tech, Startups und Geldverdienen in diesem Sektor. Die Philipps sind aufgeschlossene, erfolgreiche Berliner Tech- und Startup-Profis mit jeder Menge Erfahrung im Gepäck.
Das Hauptthema waren Facebooks zahlreichen Misserfolge in der letzten Zeit und die Frage, was die Zukunft für Facebook bringen könnte. Im Mittelpunkt standen die Aussagen der Whistleblowerin Frances Haugen über das Geschäftsmodell von Facebook. Sie brachte dem Handelsunterausschuss des US-Senats den Beweis, dass Zwietracht und Spaltung mehr Werbung verkaufen als Harmonie und gegenseitiges Verständnis, und dass Facebook diese Erkenntnis ganz bewusst ausnutzt. Kurz gesagt: Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, muss Facebook eine Bedrohung für Demokratie und Frieden darstellen. Wenn ich in der Vergangenheit einen Facebook-Beitrag las, hatte ich immer das Gefühl, dass das Schüren von Zwietracht und der Aufbau von Echokammern genau das ist, worum es bei Facebook geht, aber es ist gut zu hören, dass mein Gefühl und das vieler anderer Menschen nun durch Fakten bestätigt werden.
In diesem Podcast meinte Philipp Klöckner, dass Marc Zuckerbergs Forderung nach einer Regulierung uns damit sagt, dass die andere Lösung, nämlich die Auflösung von Facebook, die bevorzugte Lösung sein sollte. Ich denke, er hat Recht. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass Zuckerberg guten Willens ist oder andere Interessen als das bloße Geldverdienen hat. Regulierungen würden ihm auf Dauer sein Monopol sichern. Die Zerschlagung von Facebook hingegen würde eine Marktlücke hinterlassen, die eher früher als später von Facebook 2.0 gefüllt werden wird, das auf demselben Geschäftsmodell beruht, nämlich Zwietracht und Uneinigkeit zu säen.
Aber nehmen wir einmal an, wir würden die neoliberale Brille der Tech-Branche abnehmen und die Dinge mehr aus dem Blickwinkel der guten alten sozialdemokratischen Nachfrage heraus betrachten, dann hätte ich eine Frage an meine Freundin: “Würdest Du Dich an einer öffentlich-rechtlichen Social-Network-Organisation beteiligen, vergleichbar mit dem, was die britische BBC oder die deutschen ARD/ZDF als Fernsehsender sind? Auf diese Weise würden die Streifen unter der Aufsicht eines demokratisch gewählten Kuratoriums weiß, grau und auch ein wenig schwarz bleiben.“
Ich schlage einen dritten Weg vor: Verstaatlichung von Facebook. Ich meine, das Militär, die Geheimdienste, das Gesundheitswesen, die oben erwähnten Medienorganisationen, viele Dienste sind in vielen Ländern im Besitz der Öffentlichkeit. Warum nicht auch Facebook?